Liebe Freunde,

 

 

 

nun, da auch bei uns die Zeit der Stille anbricht, möchte ich Ihnen näherbringen, wie es vor knapp 4.700 Jahren gewesen sein könnte, als man diese Tage auch bereits begangen hat. Auch damals schon wirkte die Zeit „zwischen den Tagen“ irgendwie aus dem normalen Ablauf gefallen und folgten einem besonderen Ritus. Folgen Sie mir in eine längst vergangene Epoche, wie sie sich bestimmt so zugetragen hat, damals in Kemet…

 

 

 

 

 

Auszug aus; Götter aus schwarzer Erde!

 

 

 

 

 

  Chasechemui hatte sich schließlich wieder beruhigt. Sein Sohn hatte aber auch alles Erdenkliche dafür getan, dass er den Vorfall schließlich auf sich beruhen ließ. Nun stand er folgsam am Fuße des Podests, wo sein Vater, als oberster aller Propheten, um die Gunst der zuständigen Schutzgottheiten bat. Während des Götterdienstes schaute Djeser auf das Volk, welches gebannt auf ihren König schaute und konnte er die bange Hoffnung nur ahnen, die er in deren Augen sehen konnte. Sollten all die Beschwörungen, Opfer und Gebete nichts geholfen haben, würde es ein schweres Jahr für das kemetische Volk werden. Das wussten alle! Aber solange Djeser denken konnte, hatte es weder Missernten, noch Flutkatastrophen gegeben. Der Königssohn konnte das Ende der Veranstaltung kaum noch abwarten. Denn dann würde endlich das Neujahrsfest mit all seinen Verlockungen beginnen. Und Djeser hatte sich felsenfest vorgenommen noch einmal richtig mitzufeiern, bevor er sich seinem Schicksal ergab. Dagegen konnte sein Vater ja wohl kaum etwas einwenden. Schließlich flossen die Getreidehalme in Richtung des großen Nun und der König schritt von seinem Podest herunter. Als er unten angekommen war, eilten Diener herbei und nahmen ihm die schweren Zeremonienumhänge und die Sechemti, die Doppelkrone, ab. Er wandte sich seinem Volk zu und gebot, ihm zu folgen. Die Prozession setzte sich in Bewegung und zog zum Palastbezirk. Kurze Zeit später waren sie vor dem Palast angekommen. Chasechemui bestieg die ersten Stufen und klatschte laut in die Hände. Musikanten spielten auf und strömten aus verschiedenen Eingängen und mischten sich unter das Volk. Dann klatschte der König ein weiteres Mal und Tänzerinnen, Gaukler und Feuerspucker folgten. Das Fest konnte beginnen. Djeser hatte es kaum noch erwarten können. Die letzten Tage, in denen er des lieben Friedens willen, den guten Sohn gegeben hatte, waren schon sehr anstrengend. Der Königssohn konnte sich überhaupt nicht entsinnen, wann er überhaupt einmal eine solch lange Zeit am Stück dermaßen folgsam gewesen war. Von dieser Anstrengung brauchte er jetzt dringend eine Pause. Schnell hatte er sich dem Gefolge seines Vaters entzogen und seine Insignien, die ihn als Mitglied der königlichen Familie auswiesen, abgelegt und gut versteckt. Dann suchte er sich einen der vielen Mundschenke und ließ sich einen Becher Wein geben. Mit tiefen Zügen ließ er das kratzige Getränk, welches mit Dattelmost und einer Spur Zimt süffiger gemacht worden war, seine Kehle hinunterlaufen. Ahhh, tat das gut! Djeser stellte den Becher ab und nahm sich gleich einen zweiten. Den umfasste er mit den Fingerspitzen und trug ihn an seiner rechten Seite. Er tauchte in das Geschehen ein. Es machte dem Königssohn großen Spaß, sich unter das Volk zu mischen. Djeser mochte es, wie unkompliziert sich die einfachen Menschen dem Vergnügen hingeben konnten. Am Hofe seines Vaters war alles so sehr in Regeln oder Zeremonien festgezurrt, dass es für einfachen Spaß nicht den kleinsten Raum gab. Einmal hatten er und sein Bruder Fangen im Palast gespielt. Dabei waren sie versehentlich in den Empfangssaal geraten, wo sein Vater sich grade in schwierigen Gesprächen mit einer Delegation aus einem nördlichen Sepat befand. An den Blick, den Chasechemui daraufhin seinen beiden Söhnen zugeworfen hatte, konnte sich Djeser auch heute noch sehr gut entsinnen. Es war derselbe Blick, den er erst vor ein paar Tagen wieder hatte erleben müssen. An diesem Tag waren die beiden Knaben unverzüglich auf ihre Zimmer gebracht worden und sie hatten es erst zwei Tage später wieder verlassen dürfen. In dieser Zeit hatten sie ausschließlich Wasser zu trinken bekommen. Solche Sorgen hatten die einfachen Leute bestimmt nicht! Während sich Djeser so durch die Straßen treiben ließ, fragte er sich, wie es wohl Akhenaten ergehen mochte? Ob er auch Scherereien bekommen hatte, weil sie beiden ein klein wenig zu spät zum Abendmahl erschienen waren? Und das auch nur, weil er es absolut nicht ertragen konnte schon wieder gegen die beiden Schwestern zu verlieren. Er nahm einen weiteren Schluck aus seinem Weinbecher. Wenn er an den guten Kanofer dachte, konnte er es sich sehr gut vorstellen. Der liebe Siegelbewahrer hatte bestimmt einen Standartenstock verschluckt, so steif wie er immer auftrat. Für Djeser war es kein Wunder, dass er und sein Vater sich so gut verstanden. Bestimmt war es ihm auch nicht viel besser ergangen, als ihm selbst. Einige Zeit später verfolgte der Thronfolger grade eine Truppe graziler Tänzerinnen, die begleitet von Flöten und Harfen eine Saatszenerie vorführten. Besonders die Zierlichkeit der Mädchen verzückte Djeser oder war es doch mehr der Umstand, dass die sechs Darstellerinnen besonders kleine Brüste hatten? Fast schon knabenhaft. Wie auch immer, er hatte seinen Spaß! Mit einem Zug leerte er seinen Becher. Achtlos warf er ihn fort und schaute sich um. Wo bekam er denn hier nur einen weiteren her? Endlich entdeckte er einen, der Bier verteilte. Djeser beschloss nicht wählerisch zu sein und griff sich einen Becher. Während er so weiter durch die Straßen zog, sah er einen jungen Kerl an einer Hauswand sitzen, der ihm nur zu bekannt war. Er wankte auf seinen Freund zu. Scheinbar zeigte die Trinkerei Wirkung. An dem Haus angekommen, ließ er sich neben Akhenaten nieder. Der war vollkommen in sich zusammen gesunken und schien zu schlafen. Anscheinend war er betrunken. Djeser nahm einen weiteren Schluck, schaute auf das bunte Treiben und dann, leicht angewidert in seinen Becher. Mit gutem Wein, war das nicht zu vergleichen. Kurzentschlossen führte er die Flüssigkeit einer sinnvolleren Nutzung zu und schüttete das Ganze über den Kopf seines Freundes. Grummelnd quittierte der Begossene die ungewollte Erfrischung. Schließlich öffnete Akhenaten die Augen und nachdem er sich einmal umgeschaut hatte, schloss er sie wieder. Djeser machte es ein wenig sauer, dass er viel mehr Mühe aufwenden musste, als er gedacht hatte. Jedenfalls schüttelte er seinen Freund nun heftig. Wieder grunzte der Gestörte hörbar und öffnete abermals die Augen. Endlich erkannte er den wohlbekannten Störenfried und beschloss offensichtlich dieses Mal wach zu bleiben.

 

„Du?“, war das einzige was er zu sagen hatte. „Ja, ich!“, entgegnete Djeser gleichfalls knapp. Nachdem erst einmal alles gesagt worden war, verbrachten die beiden Freunde einige Zeit damit, dem bunten Treiben zu folgen. Es war bereits früher Abend und die allgegenwärtige Hitze, die den ganzen Tag ein steter Begleiter gewesen war, ließ endlich ein wenig nach. Schließlich war es Akhenaten nun auch endlich gelungen seine Gedanken zu sammeln und er ergriff das Wort. „War...hm, war es sehr schlimm?“, fragte er Djeser, ohne dabei den Blick von der Szenerie abzunehmen. Es dauerte, bis der Freund antwortete. „Schon! Du weißt ja wie Vater so ist!“ Akhenaten nickte. Er wusste! „Aber du kennst auch mich! So schnell lasse ich mich nicht unterkriegen!“, grinste er seinen Freund nun direkt an, „Nun los! Lass uns noch ein wenig Spaß haben!“ Djeser erhob sich ein wenig mühselig. Kam schließlich zum Stehen und hielt seinen Freund die Hand hin. Der schaute noch einen Augenblick skeptisch, um dann endlich zuzugreifen. Mühsam kam auch Akhenaten auf die Füße und nachdem beide einigermaßen ihre Mitte gefunden hatten, zogen sie in Richtung des großen Flusses. Dort würde die Luft schon um einiges frischer sein und  helfen den Kopf klar zu bekommen. „Was hat denn dein alter Herr für dich vorgesehen?“, wollte Djeser wissen. Der Sohn des Siegelbewahrers schien überrascht. Bisher hatten sie dieses Thema immer bewusst ausgeklammert. Aber was sollte das jetzt noch? Für beide würde es gleich Morgen losgehen. „Er hat mich für die Hofbäckerei eingeteilt!“, war die kleinlaute Antwort. Djeser glaubte sich verhört zu haben! Der Sohn des höchsten Beamten des ganzen Landes in der Bäckerei? Er wollte es vermeiden, aber er konnte es einfach nicht. Laut lachte er los! Was würde für seinen Freund dann wohl als nächstes kommen? Mundschenk? Es tat ihm schon leid, aber konnte nicht anders, es musste einfach raus. Der Verspottete reagierte entsprechend. „Mach dich ruhig lustig!“, gab er beleidigt zurück, „Aber was hat man denn für dich geplant?“ Djeser unterdrückte endlich sein Lachen und gab pflichtschuldig Antwort. „Jetzt während der Flut wird mein Vater hier in der Stadt bleiben, Bauarbeiten vergeben und helfen, wo es nötig ist. In dieser Zeit werde ich in von einem besonderen Lehrer unterwiesen“ Ein „Hm“ war die einzige Entgegnung. Schließlich langten sie an einem sichtgeschützten Teil des Flussufers an. Die beiden zwängten sich durch das dichte Blattwerk aus Djidbüschen und niedrigen Palmwedeln und gelangten an einen menschenleeren Sandstrand. Majestätisch zog Iteru-aa in Richtung Norden, wo er sich schließlich dann ins Meer ergießen würde. Stumm saßen die beiden Freunde und verfolgten das Naturschauspiel eine ganze Zeit lang schweigend. „Wie lange mag es wohl dauern, bis das ganze Wasser am Ende der Welt wohl hinunterstürzt?“, warf Djeser die Frage auf. Wobei er seinen Blick nicht vom großen Fluss abwenden konnte. Sein Freund antwortete lange nicht. Als er es tat, regte auch er sich nicht. „Keine Ahnung! Vielleicht am Ende des Achets?“ „Hm...“ „Und dann?“, wollte Akhenaten schließlich noch wissen. Aber vom Königssohn kam keine Antwort. „Du musst es doch wissen, als zukünftiger Religionsführer!“, hakte er nach und konnte ein Grinsen kaum noch unterdrücken. Jetzt hatte er die Aufmerksamkeit Djesers. „Jetzt willst du mich für dumm verkaufen, was?!“ Das war der Punkt, an dem der Freund nicht mehr an sich halten konnte und nun war es an ihm schallend zu lachen. Eine Zeit lang versuchte der Verspottete es über sich ergehen zu lassen, aber dann war es zu viel und er schubste seinen Freund. Der fiel um und landete mit seinem Gesicht im Sand. Akhenaten revanchierte sich, in dem er Djeser eine Handvoll Sand ins Gesicht warf. Der wurde von der Attacke vollkommen überrascht. Plötzlich schrie er auf, riss die Hände hoch und fiel zur Seite weg.  Vollkommen erschrocken, fast panisch war Akhenaten auf den Beinen. Was hatte er getan? War in dem Sand ein Stein und der hatte seinen besten Freund verletzt. Vielleicht sogar am Auge? Mit einem Sprung war er bei Djeser, der sich laut stöhnend, mit den Händen vorm Gesicht hin und her wälzte. „Djeser, Djeser, was hast du? Wo hab ich dich getroffen?“ Behutsam drehte er den Verletzten auf den Rücken und versuchte zu sehen was er angerichtet hatte. Ganz langsam zog er die Hände vorm Gesicht. Er versuchte unter dem ganzen Sand zu erkennen, wo die Wunde war. Als er es endlich geschafft hatte, die Hände ganz hinunter zu ziehen, war er sehr verblüfft, dass er nichts sah. Nichts außer einem breiten Grinsen im sandigen Gesicht Djesers. „Wo du mich getroffen hast, willst du wissen?“, sagte der Königssohn und hielt sich die Hände vor die Brust. „Mitten in mein armes Herz!“   Einen Augenblick schaute Akhenaten ziemlich blöd auf die absurde Situation, um sich dann auf den vermeintlich Verletzten zu werfen. Die beiden Jungen wälzten sich verschlungen durch den warmen Sand. Akhenaten ging als Erstem die Kraft aus und Djeser gelang es seinen Freund nieder zu ringen. Er setzte sich auf seinen Bauch und hielt mit seinen Händen die Arme des Unterlegenen fest. Der versuchte sich verzweifelt und mit aller Kraft zu befreien, aber Djeser behielt die Oberhand. Schließlich musste Akhenaten aufgeben. Schwer atmend sahen sich die beiden Freunde in die Augen. Dann erkannte der Königssohn, dass bei seinem Gefangenen Tränen zwischen den Sandkörnern hinab liefen. Djeser lockerte seinen Griff ein wenig und fragte, „Was ist, hast du dir jetzt wehgetan?“ Lange sagte Akhenaten nichts, doch schließlich, „Das ist es nicht, ich weiß auch nicht...“, schluchzte er, „...aber als du dich weggedreht hast, da...“, er schluckte schwer, „...da dachte ich du wärst verletzt. Und ich wäre schuld!“, mehr Tränen rannen nun in den Sand. „Ich...ich weiß auch nicht, warum ich...!“

 

„Ich weiß es aber!“, antwortete Djeser sanft und lockerte vollends seinen Griff. Dann näherte er sich mit seinem Gesicht langsam dem seines Freundes. Immer näher kamen sie sich, bis er schließlich ganz dicht vor dessen Gesicht angekommen war. Akhenaten schaute verwirrt und gebannt in die seine Augen. Dann öffnete Djeser seinen Mund und drückte ihn auf Lippen des anderen. Akhenaten war kurz verblüfft, öffnete aber auch seinen. Als der Sohn des Königs das spürte, ließ er seine Zunge zwischen die zaghaft geöffneten Lippen und erkundete vorsichtig die fremde Umgebung. Akhenaten seinerseits erwiderte diese unerwartete Zärtlichkeit. Endlos dauerte dieser sanfte, sandige Kuss. Als sie sich voneinander lösten, verblieb Djeser aber noch einen Moment in der dominanten Position. Er löste seine linke Hand und wischte die Tränen vorsichtig aus dem Gesicht Akhenatens. „Du liebst mich eben!“ Dann sprang er unvermittelt auf und lachte laut! Ohne weitere Erklärung drängte er sich ins Blätterdickicht und war verschwunden.

 

 

 

  Akhenaten war wie betäubt! War das grade eben wirklich geschehen, oder hatten die Götter sich einen Streich mit seinen Sinnen erlaubt? Eine Folge der reichlichen Biergenusses vielleicht? Er war unfähig sich zu rühren. Er schloss seine Augen und versuchte seinen rauschenden Gedanken zu ordnen. Er öffnete seine Lider erst wieder, als oben am Firmament Göttin Sopdet ihr klares blaues Licht auf den Boden warf. Es dauerte einen Moment, bis er zusammengesetzt hatte, was in den letzten At-Res geschehen war. Als er sich endlich wieder erinnerte, berührte er mit den Fingerspitzen seine Lippen. Vorsichtig glitt er darüber und erkundete, ob da noch mehr war, als lediglich Sandkörner. Aber die flüchtige Berührung, die vor Stunden sein Innerstes aufgewühlt hatte, konnte er nicht mehr entdecken. Nur sein Gedächtnis hatte ein heiß eingebranntes Bild von diesem besonderen Ereignis zurück behalten.