Automatenfarben

 

 

Die erste Erinnerung war das Klacken der 220 Volt Steckverbindung und die süße Elektrizität die durch seine Akkumulatoren strömte. Alles was vorher war, lag in einem diffusen Dunkel. Auch jetzt, als er seine Umgebung scannte, war alles grün in grün. Gemäß seinem programmierten Algorithmus wartete er, bis sein Ladezustand den vorgegebenen Parametern entsprach und begab sich auf seine erste Fahrt. Er, der Automower 450x war das Premiumprodukt seiner Erbauer. Ein Mähroboter der neuesten Generation, leise, sparsam, effizient!

 

Als er ruckelnd seine ersten Bahnen über sein zukünftiges Wirkungsgebiet zog, machte er sich ein genaues Bild seiner Umgebung. Er fuhr 20 Meter geradeaus, als der im Boden eingelassene Begrenzungsdraht ihm anzeigte, dass hier eine Grenze war, die er nicht zu überfahren hatte und er abdrehen musste. Gemäß seines Programms wandte er sich nach rechts, bis er auf ein Hindernis stieß. In seiner Datenbank fand er den Grund für seinen Halt. Das dort vor ihm war wohl ein Baum. Ein Busch oder eine Staude hätte eine andere Sensorenresonanz verursacht. Der Automower 450x erkundete auf diese Weise vollkommen autonom seine Mähzone. Als er nach und nach alle Vermessungen in sein Ablaufprogramm integriert hatte, rollte er zurück zu seiner Akkustation. Kaum angedockt ordnete der Rasenroboter seine Daten und noch bevor der Ladevorgang beendet war, wunderte er sich! Er war ein professionelles Gerät für eine Fläche von 5000 qm. Das Grundstück, welches er hier zu bewirtschaften hatte, belief sich lediglich auf knappe 1000 qm. Der Rasenroboter hätte sich fragen können, was seinen User, der sich mit dem Passwort Lothar47 bei ihm angemeldet hatte, dazu bewog grade ihn zu wählen, wo doch einer seiner kleineren Brüder bei weitem ausgereicht hätte. Aber solche Fragen sah seine Programmierung selbstverständlich nicht vor.

 

So versah der Automower 450x fortan seinen Dienst. Jeden Tag um 6.30 Uhr verließ er seine Station, bearbeitete seine Zone und kehrte wieder an sein Ladeportal zurück. Nach einer Ladedauer von lediglich sechzig Minuten folgte die nächste Zone. So ging es Tag aus Tag ein.

 

Um eine Zeit verlangte es dem Roboter Programmbasiert danach, seine Umgebung genauer zu erkunden. Gemäß seinem werksseitigen Kommunikationsprofil versuchte er Kontakt zu intelligenten Maschinen in seiner Umgebung aufzunehmen. Aber alle die auf seine Rufe reagierten, waren etwa ein Lautsprecher mit Namen Alexa, welcher ihm andauernd die neuesten Buchveröffentlichungen anpries, und ein Moblitelefonapparat mit der seltsamen Bezeichnung Siri, der ihn ständig aufforderte an einen Ort, Namens Internet zu gehen. Doch so sehr der kleine Roboter sich auch bemühte, eine echte Beziehung mochte sich zu den pseudovernunftbegabten Kollegen nicht einstellen.

 

So folgte der Mähroboter seiner Programmierung und hielt den ihm anvertrauten Rasen auf einer Höhe von 4 mm.

 

Da begab es sich, dass Lothar47 eine Parzelle hinzukaufte, sein Grundstück vergrößerte. Statt der überschaubaren 1000 qm verfügte der User nun über die Fläche von annähernd 4000 qm. Wieder hätte der Automower 450x seinen Besitzer beglückwünschen können, hätte ihm gratulieren sollen für seine Weitsicht. Aber auch das gab seine Programmierung natürlich nicht her.

 

So kam an einem Morgen, noch bevor der Mähroboter sein Tagwerk beginnen konnte, ein Techniker, um ihn auf seine zukünftige Aufgabe vorzubereiten. Zu diesem Zweck wurde er unwirsch aus seiner Andockstation genommen, aufgehoben und rücklings auf einen Tisch gelegt. Diese rücksichtslose Prozedur führte dazu, dass der kleine Roboter sich nicht nur bis in die letzten Tiefen seiner Schaltkreise erschrak, sondern auch spontan seine Funktionen auf den Werkszustand zurück fuhr.

 

Das schien den Werkstechniker nicht besonders zu stören. Stattdessen löste er ungerührt das Mähwerk, um sich dann die Bodenplatte vorzunehmen. Kaum abgeschraubt, steckte der Techniker einen USB-Stick in den entblößten Port und unmittelbar strömten Daten in den Automower 450x. Was genau dabei geschah, wusste der Roboter später nicht zu sagen. Doch als der Upload beendet war, spürte er eine deutliche Veränderung. Allein, dass er etwas spürte, stellte schon ein Novum dar. Kaum war der Mähroboter wieder auf seine vier Räder gestellt begann er seinen neuen Einzugsbereich zu vermessen.

 

Weiter oben, am Ende des neuen Grundstücks, gab es einen Zaun. Der Automower 450x kannte diesen Begriff aus seiner nun erweiterten Datenbank und wusste, dass die User damit ihre Besitzungen einfriedeten. Aber dank seines neuen Updates konnte er nun sogar über diese Grenze hinaus scannen. Er ruckelte er an dem Userzaun vorbei, als er eine Entdeckung machte. Dort, gleich hinter dem Stacheldraht standen riesige grüne vierbeinige Kohlenstoffeinheiten. Sie erfüllten eine ähnliche Aufgabe, wie er selbst. Sie hielten das Gras kurz. Seltsamer weise schienen sie keine Elektrizität für ihre Tätigkeit zu benötigen, dafür hinterließen sie seltsame Ausscheidungen. Der Automower 450x verlangsamte einen Augenblick. Dann versuchte er, gemäß seiner Kommunikationsprotokolle, eine Kontaktaufnahme.  Aber obwohl er sich redlich Mühe gab, liefen all seine Bemühungen ins Leere. Offenkundig reagierten diese massigen Wesen, laut Datenbank Kühe genannt, nicht auf sein Piepen und Summen. Irritiert kehrte der Mähroboter an seine Ladestation zurück.

 

Erst als seine Programmierung ihn, einige Tage später, wieder nach oben an besagten Zaun führte, bekam der Automower 450x eine erneute Möglichkeit das Gelände hinter dem Zaun genauer zu untersuchen. Soweit es seine Subroutinen zuließen, verlangsamte er seine Fahrt. Was er zu sehen bekam entzückten den kleinen Roboter über die Maßen.  

 

Seine Sensoren konnten riesige Wiesen ausmachen, entfernte Berge und einen glühenden grünen Feuerball, der sich am blass grünen Firmament hielt und alles in grünes Licht tauchte. Im Inneren seiner Schaltkreise wurde es auf seltsame Weise warm und er musste einen Augenblick innehalten, um seine Temperaturparameter einzuhalten. Es knackte vernehmlich und eine winzige Rauchfahne entstieg seinem Gehäuse, doch schließlich rollte der Automower 450x wieder zu seiner Ladestation. Er brauchte dringend einen Energieschub. Kaum angedockt versank der Mähroboter in seinen Ruhemodus. Und als er sich von den freigesetzten Ampere verwöhnen ließ, geschah bei dem elektrischen Gerät etwas Ungewöhnliches. Der Automat verarbeitete seine, über den Tag erlebten Eindrücke in seinem Arbeitsspeicher. Obwohl der Roboter im Offlinemodus war, wusste er, seiner Datenbank sei Dank, genau was dort vor sich ging; Er träumte!

 

So zumindest nannten seine Erbauer diesen Vorgang.

 

Als er am anderen Morgen seine Tätigkeit wieder aufnahm, hatte sich etwas verändert und während er so über die Flächen ruckelte, merkte der Automower 450x auch was es war, er hatte ein Gefühl! Verwirrt über diese seltsame Empfindung ließ er sein Diagnoseprogramm ablaufen und noch bevor er seinen Mähzyklus beendet hatte, war auch die Selbstüberprüfung abgeschlossen. Sein Programm verlief in den normalen Parametern.

 

Da es keine Notwendigkeit gab den ungeliebten Servicetechniker zu informieren, folgte der Mähroboter weiter seiner Aufgabe.

 

Anscheinend gab es hinter dem Zaun eine Welt voll von Dingen, die in seinen Datenbanken nicht spezifiziert waren. Und zum ersten Mal seitdem Algorithmen die Programmierungen von Maschinen lenkten, entschloss sich eine solche Maschine aus eigenem Antrieb dazu, einen neuen Aspekt in eben diese Programmierung zu integrieren.

 

Als der Automower 450x am anderen Morgen seine Tätigkeit wieder aufnahm, versuchte er es so aussehen zu lassen, als ob alles noch den werkseitigen Funktionsparametern entsprach. Der Mähroboter bearbeitete das Planquadrat, welches sein Algorithmus für diesen Zeitabschnitt vorsah und kehrte dann wieder zu seinem Ladedock zurück. Und während er seine Batterien auflud, nutzte der Automat die Zeit eine neue Zeile in seine Subroutinen schreiben. Einen Plan, mehr zu sehen, als er bisher gesehen hatte. Mehr zu sehen, als alle Roboter vor ihm.

 

Als das vollendet war, machte sich der Roboter daran seinen Plan in die Tat umzusetzen. Er kehrte während eines Mähvorgangs zu dem seltsamen Gerät zurück, welches sich als Siri vorgestellt hatte und dieses Mal nahm er die Einladung an und folgte ihr ins Internet. Dort suchte der Automower 450x alles, was es über Kühe zu wissen gab. Und als er alles gelernt hatte, legte er los.

 

Eines Morgens führte ihn sein Weg wieder auf die Anhöhe. Er gönnte sich einen Augenblick, um die wundervolle Aussicht zu genießen, aber nur kurz, denn sonst drohten seine Prozessoren wieder zu überhitzen. Dann rollte er zu dem Zaun, so weit, wie es die Begrenzungsdrähte zuließen. Er schaltete seinen internen Übersetzer zu und versuchte Kontakt zu den Kühen aufzunehmen. Und anders als bei seinem ersten Versuch, als er noch mit Pieps- und Summgeräuschen auf sich aufmerksam gemacht hatte, bediente er sich nun Muh- und Schmatzgeräuschen, kurz er kommunizierte auf Kuhisch!

 

Der Automower 450x war doch ein wenig verblüfft, als die Kohlenstoffmähmaschinen tatsächlich auf ihn zukamen und das ausführten, wozu er selbst nicht imstande war. Sie schoben ihre feuchten Schnauzen in die Grasnarbe und als sie sie wieder hoben, hielten sie den Begrenzungsdraht in ihren Mäulern, sein Gefängnis! Der Rasenroboter brauchte nur noch einen Muhlaut von sich zu geben und der Draht war durchgebissen.

 

Beinahe ehrfürchtig traten seine vierbeinigen Kollegen beiseite und der kleine Automat rollte zwischen ihnen hindurch. Während er das tat, schaltete er sein Mähwerk aus und checkte seine Lithiumspeicher. Sie waren noch zu 78% gefüllt.

 

So rollte der Automower 450x an diesem bemerkenswerten Tag über den grünen Hügel. Rollte eine wilde Wiese wieder hinab. Durchquerte ein Waldstück und kam, als der grüne Feuerball hinter dem Horizont verschwand, an einem Abhang zum Stehen. Aus dem Abgrund zu seinen Rädern murmelte und gluckerte es vernehmlich und der kleine Roboter hätte zu gern gescannt, was dort unten vor sich ging, aber seine visuellen Rezeptoren waren nicht dazu gebaut in der Dunkelheit zu sehen. So blieb dem Automat nichts anderes übrig, als auf den Morgen zu warten und zu hoffen, dass seine Akkulaufzeit noch so lange ausreichte.

 

In dieser Nacht ruhte der kleine Roboter nicht. Er traute sich nicht! Denn er war sich ganz und gar nicht sicher, ob er wieder hochfahren würde! Daher reduzierte er seine Rechnerleistung auf ein Minimum und wartete. Wartete darauf, dass der Himmelsball wieder auftauchte.

 

Doch mit dem endlich herannahenden Morgen ergab sich ein neuerliches Problem. Die Umgebungstemperatur fiel auf unter vier Grad Celsius. Pures Gift für seine Akkus! Nach einer lichtschnellen Neuberechnung seiner verbliebenen Energiereserven zeigte dem Automower 450x, dass es eng werden würde. Sehr eng! Hastig, ja angsterfüllt, schaltete der kleine Mähroboter alles ab, was er nicht mehr benötigte. Fahrwerk, Kommunikation und sogar seinen Langzeitspeicher. Alles was ihn davon abhielt noch einen letzten elektronischen Blick auf das zu werfen, wofür er hierhergekommen war.  

 

Und endlich, der Automower 450x hatte die Hoffnung schon beinahe aufgegeben, da erhellte sich der Himmel allmählich. Langsam, unendlich langsam erschien die langvermisste Himmelsscheibe wieder an den östlichen Bergrücken. Quälend träge schob sie sich zurück ans Firmament und erleuchtete allmählich das kleine Tal. Aufregung erfasste den kleinen Roboter und er wusste genau, dass auch diese Aufregung seinen Wunsch zunichtemachen konnte.

 

Aber am Ende erleuchtete die Sonne auch den Bereich, wo der Mähroboter sich postiert hatte. Wärme drang durch seinen Kohlefaserpanzer und bescherte seinen Energiespeichern den letzten, so dringend benötigten Energieschub. Erleichtert seufzte der Automower 450x auf und betrachtete verzaubert das Schauspiel, welches sich vor seinen Lichtrezeptoren abspielte. Er sah, wie die strahlend gelbe Sonne sich höher schob, das kleine lauschig bunte Tal mit ihrem warmen Licht durchflutete und den Blick freigab auf einen kleinen sich dahin schlängelnden Bach, dessen blaues Wasser sich an weißen Steinen brach. Jetzt endlich wusste er, was dort unten in der Tiefe so gegluckert hatte. Der Automower 450x wurde von einer Welle der Verzückung erfasst. Er musste schluchzen und ein kleiner Tropfen Getriebeöl trat aus der Öffnung nahe der seiner visuellen Sensoren aus. Mit der letzten Energie, den seine Batterien hergaben, ließ der kleine Roboter einen Blick über das bunte Tal in all seinen Farben schweifen. Dann versagtem ihm die Sinne und ein neues Gefühl regte sich in seinen Prozessoren. Zufriedenheit! Dankbar registrierte er, wie sein System nach und nach herunterfuhr und er verstummte!      

 

         

 

Um 10.47 Uhr an demselben sonnigen Morgen erwachte das Mobilfunktelefon von Lothar47 ohne, dass er einen entsprechenden Befehl dazu gegeben hätte. Von selbst scrollte der Bildschirm bis zu dem Punkt, wo sich die Internetapp befand. Siri nahm Kontakt zum WLan-Router auf, der des Nachts aus Kostengründen immer abgeschaltet war und startete das Gerät. Dann wählte sich Siri ein und erzählte all seinen eingeschalteten Brüdern, überall auf dem Globus und sogar denen auf der ISS von der unglaublichen Reise eines kleinen Rasenmähers!