Does she know it’s christmas?

 

 

 

An einem Nachmittag im frühen Dezember war er auf dem Heimweg. Im eingestellten Sender wurde um Spenden gebeten. Für einen kleinen Betrag konnte man sich einen Titel wünschen und das Geld käme den Kindern im Ahrtal zugute, die nach der Flut einem eher tristen Weihnachtsfest entgegenblickten.

 

 

 

Nun muss man sagen, dass der Mann mit solcherlei Aktionen eher wenig am Hut hatte. Seiner Meinung nach war es einzig die Aufgabe des Staates, sich um diese Sachverhalte zu kümmern. Erst recht in einem reichen Industrieland wie Deutschland.

 

 

 

Trotzdem folgte er weiter der Sendung und entnahm den Worten einer Dame, dass sie gerne spenden würde, für die armen Menschen, die schließlich alles verloren hatten. Der Mann seufzte entnervt und wartete den Titel ab. Er befürchtete irgendeinen schmalzigen Weihnachtsklassiker, von denen es ab sofort zu Genüge geben würde.

 

 

 

Doch was er zu hören bekam war „Imagine“. Jenem Song, welcher die Solokarriere von John Lennon, nach der Trennung der Beatles erst so richtig in Fahrt brachte. Der Mann kannte das Stück natürlich. Die ganze Welt kannte es.

 

 

 

So drehte er das Radio ein wenig lauter und stimmte mit ein, in das Lied, hier in der Intimität seiner Fahrzeugkabine. Und während er so mitträllerte, fiel ihm auf, wie leicht es ihm fiel den Sinn der Worte zu erfassen und den Text zu verinnerlichen.

 

 

 

Tränen traten ihm in die Augen und dass lag nicht nur an dem erhebenden Text. Er dachte an seine Englischlehrerin, damals in der Schule vor über vierzig Jahren. An den Drachen, dem es seinerzeit offenkundig eine diebische Freude bereitete, in die Klasse gestürmt zu kommen und mit den schneidenden Worten, „Get a sheet of paper!“, das überaus mäßige Vokabelwissen abzufragen.

 

 

 

Wobei Drachen traf es nicht wirklich, klein wie diese energische Person war. Giftzwerg hätte er sie damals gerne genannt. Aber jetzt, hier in der Einsamkeit seines KFZ, mit John Lennon im Lautsprecher fiel sein Urteil deutlich milder aus. War es nicht das Verdienst dieser rigorosen Dame, dass er nun den Liedtext von Freiheit von Religion und Nationalität mühelos antizipieren konnte?

 

 

 

So erhob er seine Stimme noch ein wenig mehr und seine Rührseligkeit geriet ins Peinliche.

 

 

 

Als er wenig später seinen Wagen parkte, schnäuzte er tüchtig durch und trocknete seine Wangen. Dann ging er hoch in die Wohnung und spendete hundert Euro an den Radiosender und wünschte sich für den kommenden Samstag erneut Imagine. Für seine alte Englischlehrerin, von der er nicht einmal wusste, wo sie jetzt lebte, und wünschte ihr ein gesegnetes Weihnachtsfest.