Die Hose!

 

 

 

Es war nicht für seine Ohren bestimmt! Das war ihm in dem Augenblick klar, als er zufällig Zeuge des vertraulichen Gesprächs geworden war!

 

Er hatte doch bloß fragen wollen, wie seine beiden Frauen ihre Salatsoße wünschten, als die Gesprächsfetzen ungefiltert auf ihn eindrangen. Wenn sie ihn jetzt bemerkten, würde es eng werden!

 

Seit Anbeginn der Zeit gab es eben Bereiche, die den schwächeren Teil der Menschheit schlicht nichts angingen. Dieser Tatsache waren sich die Männer überall auf der Welt nur zu bewusst!

 

Die meisten jedenfalls!

 

Der kalte Schweiß rann seinen Rücken hinunter und er verharrte, wie angewurzelt hinter der Tür und hoffte inständig, dass die beiden ihn noch nicht gewittert hatten. Aber sie lachten und scherzten weiter unbeschwert, so dass ihm für den Augenblick keine Gefahr drohte!

 

Der kluge Vertreter seiner Spezies hätte sich nun auf Zehenspitzen in seinen Wirkungsbereich zurückgezogen und hätte in einem zweiten Anlauf sein Kommen mit dem klappern von Töpfen oder mit der lauten Schließen der Küchentür angezeigt und so der holden Weiblichkeit die Möglichkeit gegeben ihr Gespräch zu unterbrechen. Hätte er!

 

Tat er aber nicht! Denn das, was er da vernommen hatte, weckte seine erbärmlich verkümmerten Jagdinstinkte. Auch, wenn er sich durch diesen frevelhafte Tatbestand des Lauschens eines Kardinalverbrechens schuldig machte, konnte er schlichtweg nicht anders!

 

Ob es das Erblühen eines unerfüllten Faibles für Nachrichtendienstliche Tätigkeiten oder einfach bloß rotzdumme Blödheit, die ihn zu diesem Wagnis verleitete, würde im Falle seiner Ergreifung allenfalls noch den Bestatter interessieren!

 

So lauschte der vorwitzige Ehemann dem konspirativen Gespräch, welches seine Holde und die Tochter des Hauses so intensiv führten. Offenkundig ging es um die modische Ausstattung ihrer jeweiligen männlichen Anhängsel. Was sich anbot, lief doch die gern gesehene samstägliche Spielshow, in der ein dicklicher Modedesigner fünf enthemmte Frauen allen Alters in kaufsüchtige Furien verwandelte.

 

„...und die Hose! An den Hosen musst du was machen!“, sagte eine der beiden, aber der Spion konnte nicht genau verstehen, wer genau grade behandelt wurde, weil eine der Fernsehfurien einen Kreischanfall zu verkraften hatte.

 

„Da bin ich dran!“, entgegnete die andere knapp!

 

Gerne hätte der interessierte Ehemann weiter gelauscht, doch ein Werbeblock unterbrach seine Erkenntnisgewinnung. Nun galt es möglichst schnell das Weite zu suchen und zwar so, dass er einer Ergreifung entging.

 

Eben hatte er wieder seine Position am Herd eingenommen, als seine geliebte Ehefrau fröhlich die Küche betrat, um sich über den Fortschritt des Essens zu erkundigen. Sie hauchte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange, tätschelte seinen Po und der Koch bemühte sich möglichst überrascht zu wirken. Mit geschultem Auge überflog sie die Vorbereitungen. Die Holde schien zufrieden, fragte noch beiläufig, wie lange es noch dauern würde und tänzelte freudig wieder zu Tochter und Fernsehsendung zurück.

 

Grade hatte sie die Küche verlassen als der tapfere Mann seinen viel zu lange angehaltenen Atem heftig ausstieß und sich vor dem Herd hinknien musste, weil ihm die Beine schwach wurden. Während er versuchte wieder zu Atem zu kommen, durchzuckten grelle Blitze seinen geschundenen Geist.

 

Vor seinem inneren Auge erschienen Bilder, wie Mutter und Tochter vor einem Kartentisch standen und alle Einzelheiten ihrer Lebensabschnittsgefährten planten, wie es Generäle tun, bevor sie in die große Schlacht ziehen. Bei dieser Gelegenheit kam ihm auch wieder die so innig geliebte Schimanski Jacke in den Sinn, die er jahrelang gehütet hatte, wie einen wertvollen Schatz. Jetzt, mit diesem Wissen, konnte er sich sehr genau vorstellen, wie seinerzeit bei einem dieser Treffen auch über diese Jacke das Todesurteil verhängt worden war.

 

Der Gebeutelte trocknete seine Tränen und rappelte sich auf. In den Spionagefilmen pflegte der heldenhafte Agent auch nicht bei der ersten größeren Hürde seinen Auftrag sausen zu lassen. Und sein Auftrag war mehr als klar!

 

Er war berufen den männlichen Teilen seiner Familie ihre Unabhängigkeit zurück zu geben!

 

Dazu bedurfte es eines präzisen Plans!

 

Zuerst würde er jedoch das Essen auftragen.

 

Die Zeit verging. Der gewiefte Ehemann unternahm alles, um seinen Verdacht mit harten Fakten zu untermauern. Er belauschte, wenn sich die Frauen unbeobachtet fühlten. Observierte, wenn man gemeinsam Ausflüge unternahm und sicherte Beweise, wenn Kassenzettel mit verdächtigen Einkäufen, wie zum Beispiel Socken oder Pantoffeln achtlos fortgeworfen wurden.

 

Dann schließlich, glaubte er sich im Besitz aller nötigen Beweise. Beweise, die ausreichten, um diese grässlich, groß angelegten Verschwörung endlich ans grelle Tageslicht zu zerren. Als er den Bericht verfasst und für ein staatsanwaltliches Verfahren Prozess sicher gemacht hatte, beschloss er das zu tun, was alle großen Heroen, im Besonderen jene aus besagten Filmen oft tun, bevor sie an die Öffentlichkeit gehen. Sie geben dem potenten Widersacher eine letzte Möglichkeit, das lang verschüttete Gute, tief in seinem Innersten wieder frei zu legen.

 

In diesem Fall ergab sich die passende Gelegenheit bei einem weiteren samstäglichen Mädelsnachmittag.

 

Das Essen war fast gar und der Champagner geköpft, als die letzte Hoffnung der Männlichkeit den Augenblick für gekommen sah. Er streifte die Gummihandschuhe von den Händen, legte die geblümte Kittelschürze ab und richtete seine Fliege und die Manschettenknöpfe. Zeit für den großen Auftritt!

 

Der verhinderte Topspion baute sich in bester Agentenmanier vor seinen brandgefährlichen Gegnerinnen auf und räusperte sich.

 

„Nicht jetzt!“, unterbrach seine holde Gattin, „Die Punkte werden vergeben!“

 

Sie machte eine wischende Handbewegung und verdrehte die Augen.

 

Die jahrelange Konditionierung zeigte Wirkung. Unverzüglich trat der Ehemann beiseite!

 

Auf dem Bildschirm wurden Zahlen in die Kamera gehalten und nachdem besagter dicklicher Modeschneider seinen Kommentar gegeben hatte, die Furien heftig gekreischt und sich die beiden Damen des Hauses zugeprostet hatten, wagte der Mann, in einer Werbepause selbstverständlich, einen zweiten Anlauf.

 

Er hielt eine knackige Ansprache, legte Fotos vor, spielte Mitschnitte von Telefonaten ab und zerrte sogar ein Flipchart aus seinem Versteck, auf dem in mühevoller Kleinarbeit die führenden Köpfe dieser Verschwörung nach ihrer Wichtigkeit geordnet waren. All das zeigte er seinen Frauen.

 

Dann schwieg er. Wie die kernigen Burschen im Kino es auch immer zu tun pflegen, um die Reaktion der Ertappten abzuwarten. Auch hier war unser Held auf alles vorbereitet!

 

Leugnen wäre zwecklos, dazu war die Beweislast einfach zu erdrückend! Vielmehr befürchtete er, dass die vermeintliche Übermacht versuchen könnte ihn mit Gewalt mundtot zu machen. Der mutige Verteidiger der Männersache dachte daran, wie sie ihn, wenn sie ihn erst einmal überwältigt hätten, im Kellerverlies wegsperrten oder eventuell würden sie ihn auch schlicht lobotomieren.

 

Aber auch darauf war der Mann vorbereitet. Neben einem Schnellkurses über einfache Verteidigungstechniken aus dem Internet, hatte man sich auch mit einer Dose Pfefferspray aus dem DM-Markt bewaffnet.

 

Als die versammelte Weiblichkeit alles gründlich studiert hatte, schauten sie ihn an. Er straffte sich und versuchte in ihren Augen zu lesen, wie die nächsten Augenblicke verlaufen würden?

 

Freiheit oder Tod?

 

Seine Frau ergriff das Wort, „Schatz! Kannst du bitte Platz machen? Die Werbung ist vorbei!“

 

Die Sprachlosigkeit, welche mit der Fassungslosigkeit einherging, war absolut!

 

Der niedergeschlagene Mann klaubte die ausgelegten Asservaten vom Glastisch, klemmte sich den Plakatständer unter den Arm und zog sich in die Küche zurück.

 

Er warf eben Pfefferspray, Fliege und Manschettenknöpfe in den Mülleimer, als es aus dem Wohnzimmer schallte, „Wie lange dauert das Essen noch? Wir haben Hunger!“

 

„Zwanzig Minuten!“, gab er schmallippig zurück und warf den Flipchart durch das Küchenfenster!

 

Zog die geblümte Kittelschürze wieder über und bereitete das Essen zu.

 

Im Wohnzimmer klirrten die Sekttulpen!