Pains á la duchesse

 

Marie-Antoine Carême war mitten in der Nacht unsanft aus seinem Bett in der Rue de la Paix gezerrt worden. Ihm wurde lediglich zugestanden, ein paar Sachen zu packen und dann wurde er in eine Kutsche verfrachtet.

Nun saß der Maître Patissier in seiner Kabine und ruckelte, ja wohin eigentlich?

Die Männer, die ihm gegenüber saßen, machten keine Anstalten, ihn in ihre Pläne einzuweihen.

Marie-Antoine seufzte. Die unruhigen Zeiten schienen kein Ende nehmen zu wollen. Seit er denken konnte, ging es in seinem Land drunter und drüber. Erst die Revolutionswirren, dann die von unzähligen Kriegen begleitete Herrschaft Napoleons und jetzt die Besetzung durch die Koalition.

Als der Morgen dämmerte, ahnte der Konditor, wohin die Reise ging. Anscheinend verfrachtete man ihn nach Wien. Der Ort, wo der Kongress tagte. Aber was hatte er dort zu suchen?

 

Der französische Gesandte Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord wurde allmählich unruhig. Er hatte seine Order schon vor mehr als einer Woche gegeben und allmählich wurde die Zeit knapp. Er stand kurz davor ein Bündnis mit Österreich und Großbritannien abzuschließen. Es fehlten nur noch die Unterschriften und die scheiterten an einem einzigen Mann, an Feldmarschall Charles Joseph de Ligne. Dieser eitle Gockel, jenes Mitglied der österreichischen Gesandtschaft, der sich traumwandlerisch über das diplomatische Parkett zu bewegen wusste, der trotz seines fortgeschrittenen Alters eine Unzahl an Maitressen unterhielt, den er abgrundtief verabscheute! Und der ihm doch so ähnlich war!

 

Es war bereits früher Nachmittag, als die Kutsche vor einem Palais zum Stehen kam. Als Carême ausstieg, war ihm endlich klar, wer ihn hierher befohlen hatte und augenblicklich war er versöhnt. Wehte doch vom Balkon die Standarte des Hauses Périgord. So war es Talleyrand, sein alter Förderer, der ihn gerufen hatte. Marie-Antoine eilte die Stufen hinauf, er kannte dessen Ungeduld.

 

Als die schwere Doppeltür zu seinem Arbeitszimmer geöffnet wurde, erhob sich der Außenminister Frankreichs mühsam hinter seinem Schreibtisch. Sein schlimmer Fuß. Auf seinen Gehstock gestützt, ging er dem jungen Mann entgegen, den er mehr als unsanft hierher komplementiert hatte. Aber es waren hektische Zeiten.

 

Der junge Konditor strahlte, als er den Mann sah, dem er einiges, wenn nicht alles, zu verdanken hatte.

„Wie darf ich euch ansprechen, Exzellenz? Welches Amt bekleidet ihr gerade?“

Der Diplomat erwiderte das Lächeln. Er schätzte es, wie ungezwungen sich der Bursche gab.

„Außenminister heißt es wohl!“

„Oh, wieder einmal!“

Der Diplomat bat seinen Gast zu einem kleinen Tisch, auf dem bereits Kaffee dampfte.

„Heiß wie die Hölle, schwarz wie der Teufel, rein wie ein Engel und süß wie die Liebe! Ist es dabei geblieben?“, fragte Marie-Antoine, während er seinem Gastgeber ganz selbstverständlich die Tasse vorbereitete.

„Wie immer!“, goutierte Talleyrand den Gebrauch seines wohl berühmtesten Ausspruchs zufrieden.

Nachdem man sich gestärkt hatte, kam der Diplomat gleich auf den Punkt. Er hasste Zeitvergeudung.

„Mein lieber Freund!“, setzte er an, „Ich habe dich rufen lassen, weil nur du mir bei einer heiklen Mission zur Seite stehen kannst. Ich benötige deine unvergleichlichen Fähigkeiten, deine Backkunst.“

„Aber die Zuckerbäcker hier in Wien haben doch auch einen ausgezeichneten Ruf, eure Exzellenz!“

Der Außenminister rutschte ein wenig unruhig auf seinem Fauteuil hin und her. „Nun, es handelt sich nicht um die Eroberung einer Angebeteten. Diese Mission ist schon ein wenig spezieller!“

Marie-Antoine Carême stellte seine Tasse ab, das hier versprach interessant zu werden.

„Meine Aufgabe hier auf dem Kongress ist es, die Unversehrtheit Frankreichs zu garantieren“, holte Talleyrand ein wenig aus.

„Ich bin auch schon beinahe am Ziel. Ein Bündnis mit Großbritannien und Österreich scheint greifbar. Allein es scheitert an Fürst de Ligne. Dieser Kretin will Preußen und Russland nicht verprellen. Es ist mir gelungen, einen unterschriftsreichen Vertrag vorzulegen und sogar Metternich ist einverstanden. Aber solange Ligne ständig bei Kaiser Franz gegen die Übereinkunft opponiert, ist Frankreich von grausamen Gebietsverlusten und hohen Reparationen bedroht. Mein Freund, ich hoffe, du erkennst den Ernst der Lage!“

„In der Tat, eure Exzellenz! Aber wie kann ein einfacher Konditor bei der Lösung dieses Dilemmas helfen. Mir scheint, ihr bedürft eher eines gedungenen Mordgesellen.“

Der findige Diplomat grinste hintersinnig. Er wusste, was er an dem unverbrauchten jungen Mann hatte, der ihm hier Gesellschaft leistete. Die erfrischende Offenherzigkeit war eine wohltuende Abwechslung zu den endlosen Debatten, denen er sonst gezwungen war beizuwohnen.

„Nein, keine Sorge!“, beruhigte der Außenminister, „Von Mord soll hier nicht die Rede sein! Der Fürst erfreut sich bester Gesundheit, trotz seines hohen Alters. Er geht auf die 80 zu und trotzdem scheint er immer noch seinen Mann zu stehen, wie man hört. Nein, Ligne ist kerngesund, aber wie meine Spione mir versichern, hat er doch einen Makel. Er verträgt keine Eier! Davon bekommt er Ausschlag, Juckreiz und bei entsprechender Dosis, ist er für einige Tage ans Bett gefesselt. So etwas brauche ich, brauchen wir, braucht Frankreich!“

„Dann lasst ihm doch ein Omelette bereiten!“, schlug Marie-Antoine unumwunden vor.

„Leider ist es nicht so einfach …“, seufzte Talleyrand.

„Natürlich weiß der Fürst um seine Schwäche und meidet Eier, wie der Teufel das Weihwasser. Keine Soufflés, keine Biskuits, keine Sauce Hollandaise und erst recht keine Omeletes! Was wir brauchen, ist ein Gebäck, dem man das Ei nicht sofort ansieht. Wir brauchen etwas Neues!“   

„Hmmm …“, machte der Maître Patissier, während er nachdachte. Schließlich sagte er: „Exzellenz, … darf ich eure Küche benutzen?“

 

Er durfte! Hatte doch der Herzog seinem neuen Dienstherren eine Depesche geschickt, in der stand: Sire, ich brauche vor allem Pfannen und Töpfe, weniger Akten und Instruktionen!

Kaum hatte ihn ein Diener in die Küche hinunter geleitet, legte der Konditor seinen Rock ab, lockerte den Kragen, krempelte seine Ärmel hoch und band sich eine Schürze um, die sein Gönner wie zufällig für ihn bereitgelegt hatte. Dann scheuchte er das Personal hinaus. Bei seiner Arbeit brauchte der Meister seine Ruhe und niemanden, der ihm über die Schulter schaute.

Nachdem er das Feuer geschürt hatte, setzte Marie-Antoine Milch auf. Galt es, zuerst einen Pudding zu kochen. Er setzte einen weiteren Topf mit Wasser auf, in dem er ein Stück Butter auflöste. Etwas Salz, Zucker und ein wenig Zitrone dazu. Als das Wasser kochte, gab der Konditor eine Handvoll Mehl hinein. Dann rührte der Maître kräftig mit einem Holzlöffel, bis er einen festen Klumpen geschlagen hatte, der sich vom Kesselrand löste. Diesen legte er auf einen Teller und goss sich einen Muskateller aus dem Keller des Außenministers ein. Talleyrand hatte einen wunderbaren Geschmack.

Nachdem er den köstlichen Wein genossen hatte und sowohl der Pudding als auch der Kloß kalt waren, machte sich der Patissier wieder ans Werk. Er gab drei Eier in eine Schüssel, legte den Mehlklumpen hinzu und fing kräftig an zu rühren. Schließlich schlug er solange, bis eine viskose Masse erreicht war.

Marie-Antoine nahm eine Spritztüte und dressierte kleine Streifen auf ein vorbereitetes Backblech. Das schob er in den heißen Ofen.

In der Zwischenzeit köchelte der Konditor etwas Sahne, gab Kuvertüre hinzu und stellte das Ganze beiseite.

Kaum waren die Streifen, die nun wunderbar aufgegangen waren, knusprig braun ausschauten und herrlich dufteten, aus dem Ofen, pflückte er sie von dem heißen Blech und ließ sie auskühlen.

Carême nahm den kalten Pudding und zog drei Eigelbe darunter. Normalerweise hätte er das nicht getan, aber jedes Ei zählte, hatte sein Auftraggeber ihm eingeschärft. Dann hob er etwas geschlagene Sahne unter die Masse.

Nun galt es, die Backwerke zusammen zu setzen. Der Patissier tauchte die Streifen, die ein wenig wie Knochen aussahen kopfüber in die Schokolade. Dann schnitt er sie allesamt auf und füllte sie mit der duftenden Vanillecreme. Schließlich setzte er die Schokoladenhauben wieder obenauf.

Marie-Antoine Carême platzierte seine Kreation auf einen Silberteller, schob eine Kerze näher heran und seufzte zufrieden, während er sich seine Hände an der Schürze abwischte.

Es war getan!

 

Noch am gleichen Abend bestellte Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord Dorothea zu sich. Die junge Frau hatte seiner Bitte entsprochen und war mit ihm nach Wien gereist. Sein unfähiger Neffe, ihr Mann, vernachlässigte diese entzückende Person aufs Gröbste und es war ihm ein Anliegen, sich als überzeugende Alternative anzubieten, trotz eines nicht zu verleugnenden Altersunterschieds.

Doch seine romantischen Ambitionen waren nicht der einzige Grund, Dorothea kommen zu lassen. Sie und ihre Schwester Wilhelmina waren die besten Augen und spitzesten Ohren, die der Außenminister Frankreichs aufzubieten hatte. Diese beiden Schönheiten scheuten vor nichts zurück. Wilhelmina hatte es sogar in das Bett Metternichs geschafft. Und Dorothea gehörte zu den Favoritinnen des Fürsten de Ligne.

 

Es war noch rechtzeitig zum Souper, als Dorothea an die Tür des ehemaligen Feldmarschalls klopfte und sich selbst, als auch ein raffiniertes Dessert ankündigte. Charles Joseph de Ligne ließ bitten. Beides!

 

Am Ende hatte der tapfere Außenminister Frankreichs sein diplomatisches Ziel erreicht. Die Stimme des österreichischen Gesandten verstummte.

Leider für immer! Aber so war sie eben, … die Politik.

Die Wiener Gesellschaft klatschte trefflich, ob der gute Fürst am Ende seinen zahlreichen Verpflichtungen doch nicht mehr nachzukommen vermochte?

Man begrub ihn an einem regnerischen Dezembermorgen auf dem Josefsdorfer Waldfriedhof in Wien, während Talleyrand seine diplomatischen Bemühungen abschloss und Frankreich wieder in die Riege der europäischen Großmächte aufgenommen wurde. In den Grenzen von 1792, so wie er es sich vorgenommen hatte!

 

Einen weiteren Erfolg konnte Charles Maurice de Talleyrand-Périgord am Ende ebenfalls auf dem Feld der Liebe verbuchen. Seine Angebetete Dorothea entschied sich am Ende des Wiener Kongresses, bei ihm zu bleiben. Zog mit ihm erst auf sein Schloss Valençay, später nach London und wurde schließlich, als der Herzog 1838 starb, seine Alleinerbin.

Wie so häufig, wenn die Liebe einen Weg sucht, dann geht sie durch den Magen. So auch bei der Duchesse. Schließlich hatte es Talleyrand es sich nicht nehmen lassen dieser neuen Kreation seines Schützlings den Namen Pains de la duchesse zu geben. Und ganz Wien wusste, wen er damit meinte.

Einen größeren Beweis seiner Liebe konnte es nicht geben!

 

Ein weiteres Gerücht hielt sich auf dem Kongress bis zu seinem Ende im Jahre 1815. Angeblich wollen Zeugen, die am Ende ihren Namen nicht hatten nennen wollen, Dorothea dabei beobachtet haben, wie sie eines Nachts aus dem Haus des begabten Maître Patisserie Marie-Antoine Carême gekommen sein soll.

Die kleinen Leckereien, die ihren Namen trugen, und ihr Erfinder, mussten ihr wohl für einen Augenblick die Sinne geraubt haben.

 

Jedenfalls brachte die Gute neun Monate später eine zarte Tochter zur Welt, die später als Božena Němcová zu literarischem Ruhm gelangte.

Von alledem bekam der Konditormeister nichts mit, folgte er doch dem russischen Zaren für einige Jahre an seinen Hof nach Sankt Petersburg.

Charles Maurice de Talleyrand-Périgord seinerseits beschloss, den Fehltritt seines jungen Freundes zu ignorieren.

 

Er war halt Diplomat durch und durch!