Mordsmäßig gutes Baguette

 

Maître Bertrand schwitzte stark. Es war unerträglich heiß hier auf der Isle de Saint, inmitten der Seine. Er und seine dreißig Berufskollegen warteten mitten in der Sonne auf den Auftritt der Jury. Sie alle harrten der Bekanntgabe des Siegers. Die Verkündung, wer denn nun das beste Baguette von Paris backt. Francois Bertrand war nicht sonderlich aufgeregt, denn für ihn stand die Entscheidung bereits sicher fest. Schließlich hatte er alles dafür getan, dass es nicht beim Ausgang am Ende noch Überraschungen geben würde.

 

Seine Erinnerungen wanderten zurück zu dem Tag, als er diesen Wettbewerb zum ersten Mal gewonnen hatte. Als er seinen Vater damals überredet hatte, am la meilleure baguette de paris teilzunehmen und am Ende überraschend als Sieger dazustehen.  Als jüngster Teilnehmer aller Zeiten! Wie schön das damals war! 25.000 Franc hatte er gewonnen und die Ehre, den Elysee Palast für ein Jahr mit seinen leckeren Baguettes zu beliefern. Ein eher zweifelhaftes Vergnügen, denn der Präsidentenpalast galt seit jeher als knausrig. Dafür aber wollte der Ansturm der Kunden einfach nicht abreißen. Sein alter Herr hatte daraufhin noch länger in seiner Backstube stehen müssen, um nur genug Baguettes an die Kunden bringen zu können. Er, Francois, hatte in dieser Zeit lieber gelebt. Hatte sich einen neuen Renault Alpine gekauft und mit seinen zahlreichen Liebschaften in den exklusiven Etablissements der Hauptstadt vergnügt.

 

Dann war das Jahr vorüber und nicht nur der Strom der Kunden versiegte urplötzlich, auch Francois‘ Vater verstarb. Wohl entkräftet von der mühseligen Plackerei. Für den jungen Lebemann brach eine Welt zusammen. Hatte er doch eben begonnen, sich an das süße Leben zu gewöhnen.

 

Fieberhaft versuchte Francois daraufhin diesen Erfolg, welcher ihm dieses privilegierte Leben ermöglicht hatte, zu wiederholen. Er stellte einen jungen vielversprechenden Bäcker ein, denn zur harten Arbeit fühlte er sich nicht berufen. Dann meldete er sich erneut bei besagtem Wettbewerb an. Aber zu seiner Überraschung verlor Francois im kommenden Jahr, im nächsten und auch im darauffolgenden Jahr. So langsam wurden seine Mittel knapp. Inzwischen hatte er bereits einen Großteil des Nachlasses seines Vaters durchgebracht, als er beschloss, seine Lage in Ruhe zu überdenken. Er zog sich einige Wochen nach Saint Tropez zurück, um im mondänen Hôtel de Paris, mit Blick auf den Hafen, an Körper und Geist zu genesen. Und tatsächlich, als er eines frühen Morgens aus Les Caves du Roy, dem angesagtesten Nachtclub der Küstenstadt, zurück ins Hotel torkelte, traf ihn die Lösung für sein Dilemma wie ein Blitzschlag!

 

Wenn die Bedingungen für seinen verdienten Sieg nicht gegeben waren, dann musste er, Francois Bertrand, eben für diese Bedingungen selbst Sorge tragen!

 

So reiste der Boulanger, sobald er sich einigermaßen dazu imstande fühlte, wieder zurück in die Hauptstadt. Zwar hatte der Aufenthalt in der Stadt der Reichen und Schönen seine letzten Rücklagen verschlungen, aber es hatte sich gelohnt!

 

Denn jetzt hatte er einen Plan!

 

Kaum in seinem Arrondissement angekommen, suchte er den örtlichen Kammerjäger auf. Doch zu dessen nicht geringer Überraschung ersuchte er ihn nicht um das Ausmerzen eines lästigen Viehzeugs, sondern interessierte sich vielmehr für die bevorzugten Lebensräume von allerlei Ungetier. Ob Mäuse, Ratten, Madengewürm oder ein schnöder Kakerlak, alles notierte Francois, um alsbald zur Tat zu schreiten. Alle Orte suchte er auf, die der Entweser ihm gewiesen hatte. Und irgendwann war seine Übelkeit auch nicht mehr so schlimm. Um eine Zeit verfügte Francois über ein beachtliches Arsenal an Geviech und er gedachte, es zu gebrauchen.

 

So besuchte er in den folgenden Wochen seine Mitbewerber um das beste Baguette von Paris. Kaufte irgendetwas ein, ein Croissant hier, ein Brioche dort, ein Eclair, manchmal sogar ein Baguette. Doch der Einkauf war nicht der eigentliche Zweck des Besuchs. Denn immer wenn er eine Bäckerei verließ, hinterließ er auch etwas.

 

All das Getier, welches er unter größten Mühen eingesammelt hatte, entließ er in den Verkaufsräumen seiner Kollegen wieder in die Freiheit. Dann galt es zu warten. Und richtig, die peniblen Lebensmittelkontrolleure der Hauptstadt erfüllten ihre Aufgabe mit Bravour!

 

So gelang es Francois Bertrand, nacheinander die Kontrahenten Petit, Durand, Morel und Dupont aus dem Rennen zu nehmen und den Sieg einzufahren. In diesem und auch in den Folgejahren. Er räumte das Preisgeld ab und die Kundschaft bestürmte seine Bäckerei. Das Leben war schön! Es war schon so, wie sein Großvater Gustave, ein Veteran des Algerienkrieges immer gesagt hatte, im Krieg sind alle Mittel erlaubt!   

 

Maître Bertrand glaubte sich am Ziel! Es sah ganz danach aus, dass er für alle Zeiten triumphieren konnte, ganz nach seinem Gutdünken. Denn, um jeglichen Verdacht auszuschließen, musste selbstverständlich alle paar Jahre ein Anderer gewinnen. Aber damit konnte Francois leben.

 

Eines Morgens, er hatte sich eben einen Ferrari bestellt, ein lang gehegter Wunsch, schlenderte der Boulanger über den Boulevard Haussmann, als sein Blick an den ausliegenden Blättern seines bevorzugten Zeitungskioskes haften blieb. Sowohl der Figaro und der Le Monde berichteten unisono von einem hinterhältigen Schuft, der bei namhaften Lebensmittelherstellern hier in Paris Ungeziefer aussetzte. Die Gendarmerie sei bereits auf der Spur des Unholds. Ein Zeuge, ein Kammerjäger, hätte sich gemeldet und stände für eine Aussage bereit. Francois Bertrand verspürte einen stechenden Schmerz in der rechten Schulter und ihm wurde schlecht. Er musste sich auf seinen Gehstock stützen und schleppte sich mit letzter Kraft zu einer Bank. Nachdem er sich den kalten Schweiß abgewischt hatte und wieder zu Atem gekommen war, überlegte er fieberhaft, was nun zu tun sei?

 

Mit dem Verteilen von Maden war es nun wohl nicht mehr getan. Drastischere Mittel mussten her, ahnte der Bäckermeister und er war auf sich allein gestellt! Großvater Gustave hatte es gesagt, der Krieg ist ein schmutziges Geschäft.

 

Mit frischem Mut machte sich Francois ans Werk, nachdem er sich von der unglückseligen Schwäche erholt hatte.

 

Gleich in der kommenden Nacht suchte er den unseligen Käferbekämpfer auf, der ihm so unfassbar in den Rücken gefallen war. In einer Seitengasse im 6. Arrondissement unterhielt der Unhold ein kleines Ladenlokal. Einen genauen Plan verfolgte Francois nicht, aber der Verräter musste zum Schweigen gebracht werden! Nachdem er sich Zutritt verschafft hatte, schaute sich Francois um. An Giften mangelte es hier nicht. Aber Monsieur Bertrand war auch Ästhet, da durfte es schon etwas mit ein wenig Esprit sein. Sein Blick fiel auf zwei Wildtierfallen, die der großspurige Mäuseschubser an seiner Wand platziert hatte. Francois war augenblicklich klar, was zu tun war!

 

Als er am anderen Tag die Abendausgabe des Figaro aufschlug, musste der Bäckermeister lange suchen, bis er das unerwartete Ableben vermeldet bekam. Der Schädlingsjäger hatte es lediglich auf Seite 5 des Lokalteils geschafft und war, laut der Meldung, offenbar an seinem Arbeitsgerät gescheitert.

 

Zugegeben, ein wenig unwohl war es dem Bäcker daraufhin schon, aber das ging bald vorüber! Als die Gewissensbisse überwunden waren, fasste Francois alsbald seine nächsten Ziele ins Auge. Er wusste genau, wo seine Feinde saßen.

 

In jenem Jahr war es vor allen anderen der aufgeblasene Jules Perrin. Mit seinen rustikalen Broten aus einem alten Steinbackofen. Lange brauchte Francois nicht zu suchen, wie diesem Konkurrenten beizukommen war. Perrin hatte neben seiner Leidenschaft für Brot ein Faible für Hubschrauber. Über besondere Fähigkeiten verfügte Monsieur Bertrand auf dem technischen Sektor zwar nicht. Aber das Hydraulikkabel des Heckrotors gegen ein völlig poröses auszutauschen, gelang ihm dann doch erfreulich mühelos. Die Pariser Bevölkerung zeigte sich ob des unerwarteten Absturzes schwer erschüttert.

 

Ein Jahr darauf hatte sich im Stadtteil Folie Méricourt ein anderer Bäcker in den Vordergrund gebacken, Claude Vincent. Ein junger Schnösel, der neben seinen, zugegebener Maßen, leckeren Schokoladen-Pistazien-Schnecken eben auch ein ordentliches Baguette aus dem Ofen zog. Diesem Arbeitstier beizukommen, erwies sich als deutlich komplizierter. Stand doch dieser Claude Vincent Tag aus Tag ein in seiner Backstube und tüftelte an seinen Rezepten. Ein Umstand, den Francois Bertrand nicht im Ansatz nachvollziehen konnte. Lange hatte er in einem kleinen Straßencafé unweit der Bäckerei Posten bezogen und nach einem Punkt gesucht, wo er den Hebel ansetzen konnte. Er hatte lange warten müssen! Hatte unzählige Café serré getrunken und beinahe genau so viele Pastice. Aber schließlich war sein Ausharren belohnt worden. Maître Vincent verbrachte fast die ganze Woche in seiner Bäckerei. Bis auf Sonntag, da hatte er geschlossen und genau an diesem Tag würde Francois zuschlagen!

 

Er kam in den späten Abendstunden, die Laternen brannten schon, zur Hintertür der Backstube. Diese Türe war, wie alle Hintertüren von Paris, ein Anachronismus. Waren doch die eleganten Fensterfronten in dieser Stadt des Lichts immer auf Hochglanz poliert, so waren ihre Hintereingänge das genaue Gegenteil. An ihnen war die Moderne schlicht vorbeigegangen. So war es für Francois ein Leichtes, sich mittels eines einfachen Drahtes Einlass zu verschaffen. Auch das war ein Segen! Denn das gute Leben der vergangenen Jahre, hatte sich stattlich auf seinen Hüften niedergeschlagen. Eine gewagte Kletterpartie wäre somit von vorneherein ausgeschieden. Doch einmal eingedrungen, machte sich der späte Besucher gleich ans Werk. Er stieg auf einen Stuhl. Drehte die Glühbirne aus der Fassung. Dann förderte er einen mitgeführten Glasschneider aus der Innentasche seines Maßanzugs und ritzte den Glaskolben des Leuchtmittels an, so dass er irgendwann nur noch die Fassung mit dem Glühdraht in den Händen hielt. Dieses Gerippe drehte er behutsam wieder in die Lampe.

Ein kurzer Test bewies ihm, dass der Draht nicht beschädigt war. Nun kam Teil zwei seines Plans. Er nahm sich die Mehlsäcke, vor allem die leeren, vor. Er klopfte und schüttelte sie allesamt aus. Dann häufte er Mehl auf einen Tisch und stellte einen alten Ventilator daneben. Der Staub, der daraufhin den Raum ausfüllte, stimmte Francois zufrieden. Das war mehr als genug!  

 

Dann suchte er das Weite, denn bald schon würden die Bäcker rund um Claude Vincent zum Arbeitsbeginn eintreffen. Er hatte eben das Viertel verlassen, als Francois meinte, einen dumpfen Knall vernommen zu haben. Er widerstand der Versuchung, umzukehren und nachzusehen, stattdessen ging er weiter zu seiner eigenen Bäckerei. Kurz bevor er in seine Straße einbog, rauschten Feuerwehrfahrzeuge an ihm vorbei. Francois Bertrand konnte ein Grinsen nicht unterdrücken.

 

Zwei Tage später berichtete Le Monde über eine Verpuffung in einer Bäckerei im 10. Arrondissement. Das Feuer, welches daraufhin ausgebrochen war, hatte auf drei weitere Häuser übergegriffen. Elf Menschenleben waren zu beklagen. Der Sachschaden ging in die Millionen. Die Gendarmarie hatte die Ermittlungen aufgenommen, allerdings machten sich die Beamten wenig Hoffnung in den Trümmern noch verwertbare Spuren zu finden.

 

Zufrieden schloss Francois die Zeitung und bestellte ein Glas Champagner. In diesem Jahr war ihm der Sieg nicht mehr zu nehmen!

 

So ging es all die Jahre. Manchmal schenkte Maître Bertrand weiterhin den Preis auch her, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen. Aber über die Zeit gelang es ihm doch, seinen Ruf als bester Pariser Bäcker zu festigen.

 

Jetzt stand er nun hier mit seinen Mitbewerbern, die ihm ehrfurchtsvoll den Platz in ihrer Mitte freigehalten hatten, denn auch für sie war klar, wer auch in diesem Jahr zum Sieger gekürt würde.

 

Francois wischte sich mit seinem Taschentuch die Stirn. Er tat das vorsichtig, denn sein Bäckerwams war trefflich eng geworden und er musste unbedingt zu seinem Schneider, um sich einen neuen anfertigen zu lassen.

 

Dann trat endlich die Jury auf das Podest. Unter der Führung des Küchenchefs des Elysee-Palastes, Christian Lefevre, stiegen sie die Stufen hinauf und es war wie immer der Koch des Präsidenten, der das Urteil bekanntgab.

 

Die anwesenden Kollegen traten bereits ehrfürchtig zur Seite. Das taten sie inzwischen jedes Jahr. Für sie ging es hier nur darum, eine gute Platzierung zu erreichen. Schnell stopfte Francois sein Tuch in die Tasche und trat einige Schritte nach vorn, damit es die Fotografen gleich einfacher haben würden, als Monsieur Lefevre den Sieger bekanntgab.

 

«Der diesjährige Preisträger des la meilleure baguette de paris geht an … !»    

 

Diese Kunstpause mochte Francois immer besonders, so konnte er sich richtig in Position bringen!

 

«… Djibril Hamidi von der Boulangerie Maron  

 

Bei Francois Bertrand ging daraufhin alles ganz schnell. Ein stechender Schmerz ließ ihn sich an die Brust greifen und er sackte auf die Knie. Nach Luft japsend schoss ihm durch den Kopf, wie er ausgerechnet den Algerier nur hatte übersehen können? Und was sein Großvater Gustave, der alte Veteran, nur dazu sagen würde, wenn er ihm gleich gegenübertreten müsste? Dann plumpste er ohne ein weiteres Wort kopfüber auf das Pflaster. Es war gut, dass er nach vorne getreten war! So konnten ihn die Fotographen tatsächlich vortrefflich knipsen!