Die Kaffee-Krise

 

 

Im Grunde war seine kleine Frau eine Seele von Mensch. Still, eher schweigsam und von einem zurückhaltenden Wesen, genau aus diesem Grunde passten die beiden ja auch so prächtig zusammen.

 

 

 

All die Jahre lebten sie nun einträchtig Seit an Seit und der treue Ehemann dachte eigentlich, dass es Nichts mehr gab, was ihn bei ihr noch überraschen könnte.

 

 

 

Doch dann kam jener Nachmittag, an dem das Weltbild des armen Mannes gründlich auf den Kopf gestellt wurde. Es war ein eher subtiles Ereignis, eine Petitesse lediglich. Etwas, dem man normaler Weise keine besondere Beachtung schenkt.

 

 

 

Dazu muss gesagt werden, dass die kleine Ehegemeinschaft „Saus und Braus“ vom Grunde ihrer Herzen verabscheute. Sie fuhren weder ein protziges Automobil noch in ebensolche Urlaube. Man vermied überteuerte Restaurantbesuche und beim wöchentlichen Einkauf, wurde großer Wert auf die Informationen gelegt, die man den Angebotsblättchen des Wochenendes entnehmen konnte.

 

 

 

Einen kleinen Luxus hatten sich die zwei allerdings doch gegönnt. Vor einigen Jahren war ein Kaffeevollautomat angeschafft worden. Einer von jener Sorte, bei der die aromatischen Bohnen frisch vermahlen wurden, nur um sie gleich darauf unter tüchtigem Druck zu einem formvollendeten, cremigen Kaffee zu verbrühen.

 

 

 

Es war dieser liebgewonnene Kaffee, der für die holde Gattin einen erfolgreichen Start in den Tag überhaupt erst möglich machte. Bevor das wohltemperierte Koffein der ersten Tasse, bei der Lieblichen seine Wirkung tat, wirkte sie leicht apathisch. Und erst nach dem zweiten Becher war ein normales Gespräch überhaupt erst möglich.

 

 

 

Es war eben jener Kaffeeautomat, dieser liebgewonnene Weggefährte, der vernehmlich zischte und eine kleine Rauchfahne entstieg dem Korpus, wie eine schlecht ausgedrückte Zigarette in einem überfüllten Ascher.

 

 

 

Es war der Ehemann, der den Makel bemerkte, als er an jenem Nachmittag den Feierabendkaffee bereitete und sogleich befiel ihm eine tiefe Beklemmung. Doch anders als in den Aufklärungsfilmen der 70er des letzten Jahrhunderts, musste er es nicht dem Kinde sagen, sondern, viel schlimmer, seiner lieben Frau.

 

 

 

Denn um der allgemeinen elektrischen Sicherheit zu genügen, würde es weder jetzt noch, und das war weitaus schlimmer, Morgen in der Früh, einen leckeren Kaffee geben.

 

 

 

Dem armen Mann wurde ein wenig mulmig, denn als Kenner althergebrachten Brauchtums, war er sich des Schicksals der Überbringer schlechter Nachrichten, nur zu bewusst. Aber er straffte sich. Einer musste es ja machen! Und ein anderer war ja auch grade nicht greifbar.

 

 

 

So trat er vor seine, so innig geliebte Gemahlin und trug den traurigen Befund ohne Umschweife vor. Wie ein blutverschmierter Chirurg in einer US-amerikanischen Krankenhausserie. Das Ergebnis fiel denn auch genauso aus, wie in den bekannten Seifenopern. Die großen Augen füllten sich schnell mit Tränen und ein herzzerreißender Schluchzer krächzte ihm entgegen.

 

 

 

Worte des Trostes prallten ab, wie Kleinkalibermunition an einem Kampfpanzer. Auch die Beteuerung, direkt Morgen, nach der Arbeit das malade Gerät unverzüglich zum Servicehändler zu schaffen, wollten partout kein Lächeln in das Antlitz der Lieblichen zaubern.  

 

 

 

Erst der Hinweis, dass besagter Servicehändler stets ein Ersatzgerät anzubieten hat, um über den schlimmsten Verlustschmerz hinweg zu kommen, vermochte es einen Schimmer der Hoffnung in die aufkommende Düsternis zu senden.

 

 

 

So fing es an, die Zeit, welche später einmal die schlimme genannt werden sollte.

 

 

 

1.       Tag

 

 

 

Gleich am anderen Morgen entstieg der Mann noch vor Sonnenaufgang dem Ehebette und machte sich heimlich auf, um den Automaten fortzuschaffen.

 

Es hätte der wartenden Gemahlin zu denken geben sollen, dass er erst bei Einbruch der Dunkelheit den Weg nach Hause fand. Aber als er ihr drucksend zu erklären versuchte, warum der Händler ihres Vertrauens dieses Mal kein Ersatzgerät anzubieten hatte, wusste sie warum.

 

 

 

2.       Tag

 

 

 

Der Beginn des Tages geriet zu einer Tragödie griechischen Ausmaßes. Der Versuch einen Kaffee zu brühen, mittels eines alten Plastik-Melitta-Filters, geriet eher jämmerlich und lediglich ein hastiger Einkauf an einem Drive-In-Schalter, vermochte es den Tag einigermaßen in vernünftige Bahnen zu lenken.

 

 

 

3.       Tag

 

 

 

Die Liebe seines Lebens weigerte sich an diesem Morgen aufzustehen. Ohne vernünftigen Kaffee sei das unmöglich, meinte sie.

 

 

 

4.       Tag

 

 

 

Den gesamten vergangenen Tag hatte der treue Mann verzweifelt damit zugebracht, zu recherchieren, auf welche Weise man, ohne Vollautomaten einen brauchbaren Kaffee bereiten konnte. Das Ergebnis war eine Siebstempelkanne. Er hoffte, dass der Duft frisch gebrühten Kaffees, helfen würde seiner Holden den Lebensmut wieder zurückzugeben.

 

 

 

Anfangs gelang das auch. Die Geliebte verließ, angelockt, von dem vertrauten Duft, ihren Rückzugsort und betrat die Küche, in der ihr Göttergatte, mit kundiger Hand eben das Kaffeepulver nach unten in die Kanne presste. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen und mit dankbarem Blick nahm sie ihre Tasse entgegen und nahm einen Schluck ….

 

 

 

Der zufriedene Ehemann beglückwünschte sich zu seiner Krisenbewältigung. Wieder einmal hatte er ein Problem gelöst, kaum, dass es sich gestellt hatte. Er war noch intensiv damit beschäftigt sich innerlich auf die Schulter zu klopfen, dass er überhaupt nicht mitbekam, wie seine liebe Frau wortlos die Tasse abstellte, die Kanne nahm, auf den Balkon ging und mit einem dort zufällig gefundenen Hammer das Glas in tausend Scherben zerschlug. Offenkundig war die Gute doch nicht so zufrieden, wie er gehofft hatte.

 

 

 

5.       Tag

 

 

 

Heute gedachte der Geplagte die Lethargie mit einem vollkommen neuen Ansatz zu lösen. Er hatte von einem Bekannten den Tipp für einen Kursus im Waldbaden bekommen. Die Fortsetzung des früheren, etwas piefig wirkenden, Waldspaziergangs mit anderen Mitteln. Selbstverständlich geführt von einem Ranger. Förster reichte heutzutage auch nicht mehr.

 

 

 

Nachdem er seine über alles Geliebte, unter Aufbietung all seiner Überredungskünste dazu bewegen konnte, sich ihm anzuschließen, fand man sich an einem lauen Vormittag im kühlen Stadtwald ein. Der Ranger, respektive der Förster, erklärte, während sie das Grün durchwanderten, die Vorzüge des Waldes, die kühlende Verdunstung, die beruhigenden Grüntöne oder auch die typischen Düfte.

 

 

 

Am Ende des etwa zweistündigen Vortrags gelangte man schließlich zum Höhepunkt des Tages. Der Förster bot seinen Gästen an, sich einen Lieblingsbaum auszusuchen und innig zu umarmen. Mit seinem Baum könnte man reden. Er würde immer zuhören und nahm sich der Sorgen an, die einen belasteten und spendete wohltuenden Trost.

 

 

 

Es war dieser Augenblick, auf den der wohlinformierte Göttergatte gehofft hatte. Mit einer gehörigen Portion Zuversicht verfolgte er, wie sich seine Holde für eine Fichte entschied, wohl weil sie die nahestehende alte Eiche nicht zu umfassen vermochte.

 

 

 

Er selbst war zärtlich damit beschäftigt sein übervolles Herz einer Buche auszuschütten, über das Kaffeedilemma und all seine anderen Sorgen, als er heftigen Lärm von seiner rechten, eben dem Ort, wo er seine Gemahlin, mit ihrer Fichte vermutete. Und richtig, während alle anderen intensiv damit beschäftigt waren, ihre Sorgen mit ihrem Baum zu teilen, traktierte seine Holde die Fichte mit ihren Stöckelschuhen (den wohlgemeinten Rat ihres Gatten, lieber Turnschuhe für diese spezielle Exkursion anzulegen, hatte sie geflissentlich überhört).

 

„Du blöder Baum hast mich gepiekt, mit deinen Sch … nadeln!“

 

Als daraufhin die Fichte verzweifelt beschloss, die Aggressorin mit dem gezielten Beschuss durch ihre Zapfen zur Aufgabe zu zwingen, versetzte seine kleine Frau nur noch mehr in Rage.

 

 

 

Seufzend löste sich der arme Mann daraufhin von seiner liebgewonnenen Buche, die ihm den Trost gespendet hatte, den er so dringend benötigte und eilte zu seiner Holden. Diese Therapie war im Augenblick wohl auch nicht das richtige.

 

 

 

 

 

6.       Tag

 

 

 

Es war am Sonntagmorgen um 3.00, als der gute Mann dem Bette entstieg, sich ankleidete und den, mit der Reparatur beauftragten Elektriker aufsuchte. Die Lage war ernst und verzweifeltes Handeln angesagt. Zu allem entschlossen läutete er bei dem Fachmann, die Sonne kündigte ihr Kommen bereits am Horizont an.

 

Er hatte 4.000 Euro in bar dabei. Alles Geld, was die beiden für die silberne Hochzeit im nächsten Jahr zurückgelegt hatten. Aber wenn er jetzt nicht handelte, würde es diese Feier nie und nimmer geben, da war er sich sicher!

 

 

 

Um 6.30 Uhr stand der Vollautomat wieder an seinem angestammten Platz. Um 7.00 Uhr war er wieder im Bett und hoffte inständig, dass nun alles wieder gut werden würde.

 

 

 

Als seine liebe Frau an diesem sonnigen Morgen trübsinnig, erst in die Küche und später ins Wohnzimmer tapste, schien sich nichts geändert zu haben. Mit letzter Kraft schleppte sie sich auf die Wohnzimmercouch und ließ sich, heftig seufzend in die Polster sinken.

 

 

 

Um 7.30 kam ihr Mann frohgelaunt (was die Gemahlin lediglich mit einem abfälligen Grunzen zu quittieren wusste) dem Bad und eilte in die Küche. Ein lange nicht vernommenes Mahlgeräusch erfüllte die Wohnung, gefolgt von einem typischen Maschinenlärm, den man ebenfalls lange nicht mehr in dem kleinen Haushalt vernehmen durfte.

 

 

 

Es dauerte, bis sich, bei der holden Gemahlin die Erkenntnis durchsetzte, dass ein lang vermisstes Mitglied nach so langer Zeit endlich wieder in den Schoß der Familie zurückgekehrt war. Mit einem Male fiel die hartnäckige Lethargie von der Geplagten ab und die Sonne, die schon lange ungenutzt am Himmel stand, erfüllte mit ihren warmen Strahlen urplötzlich, die ehemals graue kleine Wohnung, der Ehegemeinschaft. Mit lang vermisster Leichtfüßigkeit hüpfte sie in die Küche, wo ihr lieber Gemahl die Kaffeemaschine bediente.

 

„Ohhh, meine kleine Kaffeemaschine!“ Sie hüpfte von einem Füßchen freudig auf das andere. „Ich hab‘ dich gar nicht bemerkt!“ Es folgte eine liebevolle Streicheleinheit. „Wie konnte ich dich nur übersehen, mein Schatz!“

 

Das der liebe Ehemann daraufhin vollkommen in den Hintergrund geriet, störte den Vernachlässigten nicht weiter.

 

Sie schien wieder glücklich, seine kleine Frau. Was konnte er mehr verlangen!